Brief des Präsidenten, Januar 2020

Tübingen, 29. Januar 2020

 

Liebe Mitglieder der Gesellschaft für Interkulturelle Philosophie,

auf der Mitgliederversammlung Mitte Dezember in Köln ist, wie Sie aus dem Newsletter oder weil Sie selbst mit dabei waren wissen, der Vorstand unserer Gesellschaft neu gewählt worden. Die Wahlversammlung hat mich zum neuen Präsidenten der GIP bestimmt. Ich danke allen für das entgegengebrachte Vertrauen. Ich freue mich sehr auf diese neue Aufgabe.

Zu Vizepräsidentin und Vizepräsident wurden Frau Dr. Anke Graneß (Hildesheim) und Herr Prof. Dr. Georg Stenger (Wien) gewählt, als Geschäftsführer ist Herr PD Dr. Markus Wirtz (Köln) bestätigt worden, zu seiner Stellvertreterin wurde Frau Dr. Evrim Kutlu (Köln) bestimmt und als neuen Schatzmeister haben wir Herrn Fernando Wirtz (Tübingen) gewonnen. Frau Dr. Gabriele Osthoff-Münnix, Herr Prof. Dr. Rolf Elberfeld und Herr Prof. Dr. Chibueze Udeani sind als Beisitzer gewählt worden. Ich danke allen Mitgliedern des erweiterten Vorstands für Ihre Bereitschaft, sich aktiv für unsere Gesellschaft zu engagieren und freue mich auf unsere Zusammenarbeit.

Im Namen aller Mitglieder möchte ich dem bisherigen Vorstand für die exzellente Arbeit der zurückliegenden Jahre danken. Der Dank gilt an erster Stelle unserem bisherigen Präsidenten Prof. Dr. Georg Stenger, der nicht nur zahlreiche große und kleinere Tagungen für die GIP ausgerichtet, sondern die GIP darüber hinaus v.a. inhaltlich profiliert und international vernetzt hat. Er hat zunächst über viele Jahre gemeinsam mit Frau Prof. Dr. Claudia Bickmann und in den letzten Jahren dann allein als Präsident dafür gesorgt, dass die GIP in der islamischen Welt, in Asien und Südamerika noch besser bekannt geworden ist und wahrgenommen wird. Ein besonderer Dank geht zudem an Frau Dr. Helma Riefenthaler für ihre Tätigkeit als Schatzmeisterin in den vergangenen drei Jahren und natürlich an die bisherige Vizepräsidentin Frau Prof. Dr. Monika Kirloskar-Steinbach und den bisherigen Vizepräsidenten Prof. Dr. Chibueze Udeani sowie unseren Geschäftsführer Dr. Markus Wirtz, der auch den Workshop in Köln auf die Beine gestellt hat. Schließlich möchte ich Frau Dr. Elise Coquereau-Saouma für den sehr guten Newsletter danken, den sie auch weiterhin betreuen wird.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich denjenigen, die mich weniger gut kennen, ganz kurz vorzustellen. Nach meinem Studium der Philosophie und Biologie in Würzburg und an der Duke University in Durham, N.C., USA bin ich bei Heinrich Rombach in Würzburg mit einer Arbeit zur interkulturellen Philosophie promoviert worden. Seit dem Jahr 2006 leite ich an der Universität Tübingen das Forum Scientiarum – ein eigenständiges, interdisziplinär ausgerichtetes Universitätsinstitut, das von der Udo Keller Stiftung und der Klett Stiftung unterstützt wird – und bin in dieser Funktion zugleich ständiger Lehrbeauftragter am Philosophischen Seminar. Einer der Arbeits- und Forschungsschwerpunkte des Forum Scientiarum befasst sich mit Fragen der Interkulturalität. Wir haben mit Unterstützung von DAAD, AvH und Universität in den zurückliegenden Jahren immer wieder Research Fellows und Gastprofessoren an unser Institut einladen können, die zu interkulturellen Fragestellungen arbeiten. Seit Anfang dieses Jahres schreiben wir nun ein eigenes Research Fellow-Programm aus, das aus Mitteln der Exzellenzinitiative gefördert wird und das sich an Postdoktorand*innen aus aller Welt (außer Deutschland) richtet. Zudem richten wir immer wieder Workshops und Tagungen zu interkultureller Philosophie aus und bieten entsprechende Lehrveranstaltungen an.

Die GIP wurde vor knapp drei Jahrzehnten gegründet, zu einer Zeit, in der es nicht selbstverständlich schien, dass außereuropäische Kulturen einen wichtigen Beitrag zur Philosophie leisten können. Unser Ehrenpräsident Prof. Ram Adhar Mall hat daran in Köln gerade erst wieder erinnert. Tatsächlich bestehen bis heute eklatante epistemische Ungerechtigkeiten, darauf haben alle drei Redner*innen des Workshops in Köln hingewiesen. Es gibt freilich auch gute Nachrichten. So wird es beispielsweise auf der kommenden DGPhil-Tagung im September 2020 in Erlangen vier Sektionen zur Philosophie in globaler Perspektive geben (zu islamischer, lateinamerikanischer, asiatischer und afrikanischer Philosophie). Die dennoch nach wie vor bestehenden epistemischen Ungerechtigkeiten spiegeln ökonomische und machtpolitische Ungleichheiten wider, die in der globalen Gesellschaft zwischen verschiedenen kulturellen und religiösen Gruppen ebenso wie zwischen den Geschlechtern und Menschen unterschiedlicher Hautfarbe nach wie vor bestehen. Es bleibt eine wichtige Aufgabe interkultureller Philosophie, auf solche Ungerechtigkeiten hinzuweisen und an ihrer Überwindung mitzuwirken. In diesem Sinne sollte beispielsweise die feministische Perspektive auch innerhalb der interkulturellen Philosophie eine größere Rolle spielen. Darüber hinaus besteht die genuin philosophische Aufgabe aber darin, das Verhältnis von Kultur und Philosophie näher zu bedenken und danach zu fragen, was die Anerkennung kultureller Vielfalt für unser Verständnis von Philosophie bedeutet. Interkulturalität erschöpft sich jedenfalls nicht darin, allen Kulturen Zugang zur europäisch-abendländischen Kultur zu gewähren. Wir dürfen nicht voraussetzen, dass sich das Denken, das uns in anderen Kulturen begegnet, als ein Seitenast derselben Philosophie erweist, der sich die europäisch-abendländische Tradition verpflichtet weiß. Stattdessen müssen wir auf eine Pluralität von Philosophien gefasst sein. Wenn wir aber ernsthaft von einer Pluralität von Philosophien sprechen wollen, dann kommt die uns bekannte Philosophie europäischer Provenienz in der interkulturellen Begegnung an ihre Grenzen. Die interkulturelle Begegnung entzieht sich dann strenggenommen dem philosophischen Zugriff. Das bedeutet freilich nicht das Ende der Philosophie, sondern umgekehrt die Chance für einen neuen Anfang; ein solcher Anfang kann sich aus dem Gespräch der verschiedenen Philosophien ergeben. Es ist die Aufgabe interkultureller Philosophie, sich auf die Offenheit dieses Gesprächs einzulassen. Es ist klar, dass interkulturelle Philosophie diesem Verständnis nach viel mehr als nur ein Spezialfeld der Philosophie ist. Sie bleibt auch nach drei Jahrzehnten gemeinsamer Arbeit in der GIP die Zukunft der Philosophie.

Eine wichtige Aufgabe des neuen Präsidenten ist es, die alle paar Jahre stattfindende „große“ Tagung der GIP vorzubereiten. Ich schlage vor, die nächste Tagung der Frage nach dem Politischen in interkultureller Sicht zu widmen. Die Tagung soll im Sommer 2021 an der Universität Tübingen stattfinden. In einer Zeit, in der Migration zu einem der bestimmenden gesellschaftlichen Themen geworden ist, in der sich Europa zunehmend abzuschotten droht, in der sich Deutschland andererseits endlich zu seiner eigenen kolonialen Vergangenheit bekennt, muss sich auch die Philosophie zu Wort melden. Eine interkulturell orientierte Philosophie muss freilich über die gesellschaftlich aktuellen Fragen hinaus nach der Bedeutung des Politischen in anderen Kulturen und, mehr noch, nach der Bedeutung des Politischen in der interkulturellen Situation fragen.

Neben der nächsten größeren Tagung der GIP sehe ich es als eine vorrangige Aufgabe der kommenden Jahre an, junge Forscher*innen für die Themen und Fragestellungen interkultureller Philosophie zu sensibilisieren und sie für eine Mitarbeit in der GIP zu gewinnen. Auf der Mitgliederversammlung in Köln haben wir intensiv darüber gesprochen, was die GIP Nachwuchswissenschaftler*innen anbieten kann. Eine Möglichkeit, die wir diskutiert haben und die ich gerne weiterverfolgen möchte, ist, attraktive internationale Sommerschulen für Doktorand*innen zu organisieren. Daneben bleibt natürlich die Lehre der entscheidende Ort, um Studierende und Doktorand*innen an die interkulturelle Philosophie heranzuführen. Noch sind wir weit davon entfernt, interkulturelle Philosophie in den Curricula der Studiengänge fest verankert zu haben, umso wichtiger freilich ist es, dass wir alle entsprechende Lehrangebote machen. Häufig bietet sich dabei auch eine interdisziplinäre Öffnung und Zusammenarbeit an.

Eine philosophische Fachgesellschaft wie die GIP kann ihre Aufgabe, die interkulturelle Philosophie in Forschung und Lehre zu fördern und in der Philosophie wie in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Relevanz interkultureller Fragestellungen zu schaffen, nur leisten, wenn alle ihre Mitglieder daran aktiv mitarbeiten – in der Lehre, durch Vorträge, Workshops und Publikationen. Ich lade Sie deshalb alle herzlich ein, Ihre Aktivitäten künftig noch stärker mit der GIP zu verknüpfen, um unsere Gesellschaft als weithin sichtbare Plattform interkulturellen Philosophierens zu stärken.

Ich wünsche Ihnen, auch im Namen des gesamten Vorstands der GIP, alles Gute für das neue Jahr!

 

Ihr Niels Weidtmann